ALTERNATIVE WÄRMEQUELLEN FÜR HANNOVER

Ein Beitrag von Dr. Jens Clausen, Mitgründer des Borderstep Instituts für Innovation und Nachhaltigkeit gGmbH sowie Regionalkoordinator der ScientistsForFuture


Wie ist eine Wärmeversorgung ohne Kohlekraftwerk möglich?


Bisher kommt die Wärme, die in Hannover über das Fernwärmenetz ins Haus geliefert wird, zum größten Teil aus dem Kohlekraftwerk Stöcken. Kleinere Anteile werden zudem in der Müllverbrennungsanlage in Lahe (300 Gigawattstunden pro Jahr, d.h. etwa 20% der gesamten Wärme im Wärmenetz) und im Erdgaskraftwerk in Linden erzeugt.

Kohlekraftwerk Stöcken
© Jens Clausen

 Wenn das Kohlekraftwerk abgeschaltet wird, ist es also erforderlich, dass die enercity AG im notwendigen Umfang Anlagen zur Gewinnung regenerativer Wärme aufbaut. Dies muss hier vor Ort erfolgen, da Wärme kaum über große Entfernungen transportiert werden kann. Aber welche Möglichkeiten dafür gibt es ganz konkret?



enercitys Pläne zum Umbau der Wärmeversorgung in Hannover


Zunächst hat enercity dazu in einer Pressemeldung vom 3.12.2020 schon einige Pläne vorgestellt:


Klärschlammverbrennung

Im Jahr 2022 soll eine Anlage zur thermischen Klärschlammverwertung

auf dem Gelände der Deponie in Lahe in Betrieb genommen werden. Die Anlage wird pro Jahr etwa 50 Gigawattstunden Wärme erzeugen, was aktuell etwa 3,3% des Wärmebedarfs im Fernwärmenetz entspricht. enercity investiert in dieses Projekt rund 60 Millionen Euro. Bundesrechtliche Regelungen untersagen, dass Klärschlamm weiterhin wie früher als Dünger auf den Feldern ausgebracht wird. Wenn der Klärschlamm verbrannt wird, wie es zur Zeit gängige Praxis ist, ist es sinnvoll, die dabei entstehende Wärme im Wärmenetz zu nutzen.


Verbrennung von Biomasse

Auf dem Gelände des bestehenden Kohlekraftwerks in Hannover-Stöcken will enercity bis 2025 ein neues Biomasseheizwerk bauen. Die Anlage soll jährlich rund 415 Gigawattstunden Wärme für die Fernwärmeversorgung in Hannover und industrielle Abnehmer erzeugen, was etwa 28% des Wärmebedarfs im Wärmenetz entspricht. Die Baukosten werden mit rund 80 Millionen Euro veranschlagt. Die Brennstoffe sollen in erster Linie aus regionalen Quellen stammen, um lange Transportwege zu vermeiden und die regionale Wertschöpfung zu erhöhen. (Zu den Grenzen der Nutzung von Biomasse siehe unten unter “Welche Wärmequellen halten wir für nur begrenzt geeignet?”)


Wenn 2025 alle drei Anlagen in Betrieb sind, kommt etwa die Hälfte der Wärme im Wärmenetz nicht mehr aus fossiler Energie. Um „hannover erneuerbar“ zu machen, ist das zu wenig. Dafür brauchen wir 100% erneuerbare Wärme. Wo kann nun die andere Hälfte herkommen?


Neben der Verwertung von Klärschlamm, Holz und Abfall will enercity auch

Abwärme aus Industrieprozessen nutzen und Großwärmepumpen zum Einsatz bringen. Insgesamt sollen für den Kohleausstieg rund 500 Millionen Euro investiert werden. Was haben wir uns darunter vorzustellen?


Nutzung von industrieller Abwärme

Industrielle Abwärme wird andernorts schon heute genutzt, ist aber nicht überall verfügbar. Sie muss zunächst durch den Bau von Wärmeleitungen erschlossen und ggf. durch Wärmepumpen auf die Temperatur im Wärmenetz gebracht werden.
In Hannover könnte z.B. das Zementwerk Höver sehr viel Wärme liefern und in geringerem Umfang auch ein Rechenzentrum in Anderten. Am besten sind Wärmequellen geeignet, die eine hohe Temperatur von 100°C oder mehr liefern. Außerdem lohnt es sich natürlich eher, eine hohe Leistung von einigen hundert oder tausend Kilowatt zu erschließen.

Wo sind Abwärmequellen?

Wenn Sie von einer Abwärmequelle wissen, an der Abwärme ab einer Leistung von 500 kW zur Verfügung steht, teilen Sie uns dies gerne mit. Geben Sie bitte Standort und Temperatur an.

info@hannover-erneuerbar.de

Wärmeleitung von der Müllverbrennungsanlage Lahe in die Stadt © Jens Clausen

Nutzung von Umweltwärme mittels Großwärmepumpen

Durch Großwärmepumpen kann enercity Wärme aus geeigneten Quellen auf eine für das Netz nützliche Temperatur bringen. Das kann z.B. Umweltwärme aus Flüssen, Seen und unterirdischen Wasserläufen sein. Da Gewässer aufgrund des Klimawandels oft wärmer werden, als gut für sie ist, könnte diese Art der Wärmegewinnung sich sogar positiv auf die Umwelt auswirken. Auch das Abwasser im städtischen Kanalsystem ist oft 15°C bis 20°C warm. An geeigneten Stellen des Systems kann diese Wärme durch Wärmetauscher gewonnen werden. Über Wärmepumpen lässt sich die Wärme auf die notwendige Vorlauftemperatur für Wärmenetz und Heizungen bringen.



Welche weiteren Wärmequellen können für die Erzeugung von Heizwärme in Hannover herangezogen werden?


Zusätzlich zu den Plänen von enercity gibt es noch ein paar weitere interessante Wärmequellen:


Große Solarthermieanlagen mit Saisonalspeicher

Große Solarthermieanlagen können im Sommer Wärme für das warme Wasser liefern und auch große Wärmemengen in sogenannte Saisonalspeicher einspeisen, in denen die Wärme dann bis zur Heizsaison gespeichert wird. Solche Anlagen sind sehr groß und benötigen viel Fläche. Diese Fläche in der Nähe von Hannover zu finden, ist sicher nicht ganz einfach und erfordert ein wenig Phantasie. Wir sind jedoch sicher, dass wir zur Sicherung unserer Zukunft dazu in der Lage sind, etwas Geeignetes zu finden, z.B. neben der Autobahn oder auf anderen Flächen, wo niemand wohnen will.

Wo gibt es Flächen für Solarthermie?

Wenn Sie von einer Fläche wissen, die größer als 5 Hektar ist und

auf der niemand wohnen kann oder mag, teilen Sie uns dies gerne mit. Geben Sie bitte Standort und Eigentümer an.

info@hannover-erneuerbar.de

Renault ZOE von Stadtmobil vor der Solarthermieanlage von Silkeborg in Dänemark © Jens Clausen

Tiefe Geothermie

Tiefe Geothermie ist nur in einigen Gebieten, unter anderem im Nordosten von Hannover, verfügbar. Ihre Erschließung ist aufwendig, aber in Sandsteinschichten in etwa 1.000 m Tiefe lässt sich zuverlässig Wärme gewinnen. Nur durch die Errichtung erster Pilotanlagen ließe sich klären, welchen Beitrag die tiefe Geothermie zur Versorgung von Hannover mit Wärme leisten kann.



Welche Wärmequellen halten wir für nur begrenzt geeignet?


Es gibt allerdings zwei Wärmequellen, bei denen aus unterschiedlichen Gründen zu befürchten ist, dass es nicht so ratsam ist, zu sehr auf sie zu vertrauen.


Biomasse
Biomasse: Seit tausenden von Jahren heizt die Menschheit, in dem sie irgendetwas verbrennt. Zuerst war das Holz, dann Braunkohlebriketts. Später kamen Steinkohlekraftwerke, Heizöl und Erdgas dazu. Das funktionierte ganz wunderbar. Aber leider haben wir lernen müssen, dass das Verbrennen den Klimawandel fördert. Außerdem sind fast alle denkbaren Brennstoffe knapp. Ein wenig Biomasse ist zusätzlich verfügbar, gerade, wenn es Abfall ist wie z.B. Altholz oder Reststoffe. Aber andere und teils dubiose Holzimporte aus anderen Ländern sind keine nachhaltige Lösung.

Lagerfeuer
© Andreas Wagner auf Unsplash

Wasserstoff

Wasserstoff: Eine ebenfalls trügerische Hoffnung könnte der Wasserstoff sein. Zwar reden jetzt alle von der Wasserstoffwirtschaft, aber noch weiß kaum jemand, wo man grünen Wasserstoff wirklich in großen Mengen bekommen kann. Und da er aus Strom gemacht wird, wird er wohl lange Zeit teurer sein als Strom und dementsprechend auch teurer als viele andere Wärmequellen. Außerdem brauchen wir den noch lange Zeit knappen Wasserstoff in der Stahlproduktion, in der chemischen Industrie und anderen industriellen Anwendungen. Um damit zu heizen (oder Auto zu fahren) ist er zu wertvoll und auch zu teuer.



Neugierig geworden? Wo finde ich weitere Informationen zur Wärmewende?


Wärme ist spannend. Und während seit 1980 viel über Windkraftwerke und

Photovoltaik geredet wird, ist das Wissen über Wärmepotenziale noch weniger verbreitet. Die ScientistsForFuture zusammen mit „Klimawende von unten“ und dem Borderstep Institut haben daher im Herbst 2020 den Crashkurs Wärmewende veranstaltet. Die sechs Vorträge, die in diesem Rahmen gehalten wurden, können Sie sich als Videos anschauen, wenn Sie tiefer ins Thema einsteigen wollen. Hier die Themenliste:


Dr. Jens Clausen, Borderstep Institut: Wärmenetze und Abwärmenutzung (23.09.2020)

Apl. Prof. Dr. Ulrike Jordan, Universität Kassel: Solarthermie (21.10.2020)

Dr. Torsten Tischner, Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe

Hannover: Tiefe Geothermie (18.11.2020)

Prof. Dr. Richard Hanke-Rauschenbach, Leibnizuniversität Hannover und

Niedersächsisches Energieforschungszentrum: Wasserstoff in der

Wärmeversorgung? (7.10.2020)

Jan Seven und Stefan Rother, Umweltbundesamt: Wärmeversorgung mit

Biomasse. Hat die alte Tradition eine Zukunft? Dr. Hermann Hansen, Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe: Biomassepotenziale der Land- und

Forstwirtschaft (2.12.2020)


Und für diejenigen, die lieber lesen, hier noch einige
Schriften, die einen Überblick über Optionen der zukünftigen Wärmeversorgung mit Wärmenetzen geben:


Mit Fokus auf die Landeshauptstadt Hannover:


Clausen, J. (2020). Regenerative Wärmequellen. Wärmepotentiale zur

Versorgung der Landeshauptstadt Hannover. Berlin: Borderstep Institut.

PDF zum Download


Für andere Orte:


AGFW e.V. (2014). Transformationsstrategien Fernwärme TRAFO – Ein

Gemeinschaftsprojekt von ifeu-Institut, GEF Ingenieur AG und AGFW. Frankfurt

am Main: Arbeitsgemeinschaft Fernwärme (AGFW). PDF zum Download


Agora Energiewende. (2019). Wie werden Wärmenetze grün?

Berlin. PDF zum Download